4.4.2 Herodots ethnographische Angaben

Es ist - von der nur in Bruchstücken erhaltenen Erdbeschreibung des Milesiers Hekataios abgesehen - sehr wenig von der frühen griechischen Ethnographie bekannt, und die Ausarbeitung der Charakteristika der ionischen Völkerkunde basiert im wesentlichen auf den Untersuchungen der aus diesem Werk des Hekataios erhaltenen Fragmente und der Völkerbeschreibungen in den "Historien" des Herodot. Dabei beschränken sich die erhaltenen Angaben des Hekataios im wesentlichen auf "ethnographische" 243 Fragestellungen, ohne ausführlicher auf die "Historie" der Länder einzugehen. Herodot wollte - dabei ebenfalls auf "ethnographischen" Grundlagen basierend - in seinem Werk aber hauptsächlich über die Geschichte der Völker informieren, von denen er berichtete.

Fremde Länder zu bereisen, nur um diese "kennenzulernen" (vgl. Hdt. III 139), scheint eine typisch griechische "Erfindung" zu sein. Jedoch erschöpfte sich das ethnographische Interesse, das die schriftführenden Kulturen der alten Welt für ihre barbarischen Nachbarn zeigten, hauptsächlich in dem Bestreben, Unterschiede zwischen den fremden Gebieten und der eigenen, bekannten Welt zu erkunden. Diese "Erkundung", deren griechische Bezeichnung "historia" über das Lateinische in die europäischen Sprachen überging, erfolgte freilich zumeist in der Art der "Touristen" von heute (so Redfield 1985), indem häufig nur geographische Nachbarschaften, Ähnlichkeiten in der äußeren Erscheinung oder gelegentlich Vokabelübereinstimmungen registriert wurden. Diese festgestellten Unterschiede zwischen bzw. Gemeinsamkeiten von fremden Völkern wurden nicht selten lediglich ungenügend reflektiert zu Schlußfolgerungen herangezogen, denen deshalb immer mit größter Skepsis begegnet werden muß (vgl. dazu Schramm 1973, 212). Es kann jedoch festgestellt werden, daß Herodot sich dessen bewußt war, daß Völker anhand ihrer Sprache und ihres Äußeren, insbesondere der Kleidung, zu unterscheiden waren (vgl. Hdt. IV 111,1; V 9). Es wäre wichtig zu wissen, inwieweit Herodot aber wirklich in der Lage war, diese fremden Völker anhand von Beschreibungen ihrer charakteristischen Merkmale eindeutig voneinander abzugrenzen.


243 Zur Frage, inwieweit sich die modernen Begriffe Anthropologie, Ethnographie oder Historie auf die Forschungen der antiken Schriftsteller übertragen lassen, vgl. Redfield 1985.


zurück zum
vorherigen Kapitel
zurück zur
HOMEPAGE
weiter zum
nächsten Kapitel