9.2 Gimirrai zur Zeit der Nachfolger Sargons

Während für die Zeit Sargons II. die Gimirrai urkundlich bezeugt sind, lassen sich keine assyrischen Quellen aus der Regierungszeit des Sanherib, der von 705 bis 681 v.Chr. herrschte, heranführen, die zweifelsfrei über mit den Gimirrai verbundene Ereignisse berichten würden (Ivancik 1993, 57). Allerdings glaubte A. Kuhrt den Tod des Sargon auf einem Feldzug im Jahr 705 v.Chr. mit den als Kimmerier identifizierten Gimirrai in Verbindung bringen zu können (Kuhrt 1995, 499). Der Eintrag der Eponymenchronik vermeldet indes nur, daß Sargon gegen den Espaï, einen Kulummäer, gezogen sei und auf diesem auch Feldzug getötet wurde (vgl. Delitsch 1906, 39). Die Meinung C.F. Lehmann-Haupts, daß in diesen Kulummäern einer der chaldäischen oder aramäischen Stämme Südbabyloniens zu identifizieren sei, beruhte allein auf dem Sachverhalt, daß Sargons Sohn Sanherib den Tod des Vaters als Folge einer Versündigung gegen die Götter Babylons ansah (Lehmann-Haupt 1920a, 342). Die Annahme, daß Sargon auf einem Feldzug gegen ein Barbarenvolk ums Leben kam und der Umstand, daß die genannten Kulummäer nicht näher bestimmbar waren, verleiteten aber H. Winkler zu der Aussage, Kimmerier könnten den Tod des Sargon herbeigeführt haben (Winkler 1897, 123). Indem S. Smith die Niederlage der Urartäer gegen die Gimirrai erst für das Jahr 707 v.Chr. unter Rusas Sohn Argisti annahm, erschien ihm der letzte Feldzug des Sargon sogar als Reaktion auf eine auch für Assyrien bestehende Bedrohung durch Kimmerier unter ihrem Anführer Espaï (Smith 1929a, 59; vgl. Diakonov 1956, 236). Jedoch machte H. Tadmor darauf aufmerksam, daß die folgenden Versuche, diese These Smith's zu untermauern, im wesentlichen auf einer unsicheren Ergänzung im Text ABL 473 beruhten (Tadmor 1958, 97 Anm. 311). Dieser Text deutet hierbei - bei entsprechender Ergänzung - an, daß der Leichnam des Sargon aus dem Land der Gimirrai gebracht worden sei (so Diakonov 1951, 352.353). Gegen eine derartige Deutung spricht jedoch zumindest die Inschrift der Tafel K 4730 484, welche die Klage des Sanherib wiedergibt, daß sein Vater Sargon nicht in seiner assyrischen Heimat begraben werden konnte (Lehmann-Haupt 1920, 340).

Für die Zeit des Sanherib selbst gibt es also keine assyrischen Zeugnisse, die sich gesichert mit den Gimirrai verbinden ließen. Somit muß auch jede Rekonstruktion von "kimmerischen" Aktivitäten in dieser Zeit reine Spekulation bleiben. Dennoch wurde und wird nicht selten versucht, die allgemeine politisch-militärische Situation Kleinasiens in diesem Zeitraum mit Aktivitäten der Kimmerier in Verbindung zu bringen. G.M.A. Hanfmann vermutete, daß sich auf dem anatolischen Hochplateau mit der Festigung des phrygischen Reiches an der Wende vom achten zum siebten Jahrhundert v.Chr. eine Sperre zwischen Lydien und dem Nahen Osten gebildet hätte, die zumindest von lydischer Seite einen gemeinsamen Angriff der Assyrer und der Lyder auf Phrygien habe wünschenswert erscheinen lassen (Hanfmann 1960, 513). Die Mitteilung Hanfmanns, daß Phrygien um 696 v.Chr. von nomadischen Reiterstämmen, die von Nordosten und Nordwesten in Kleinasien eindrangen, angegriffen worden sei, geht allerdings auf eine Kombination der Berichte des Strabon und des von Hieronymus vermittelten Eusebios zurück und kann nicht durch Texte vorderasiatischen Ursprungs bestätigt werden. M.N. van Loon vermutete, daß die Kimmerier sich nach ihrem Sieg über Rusa mit Urartu derart ausgeglichen hätten, daß sie fortan Urartu sogar als Ausgangsbasis für ihre Überfälle nach Westen benutzen konnten, wobei van Loon auf Herodots Erwähnung einer kimmerischen Besiedelung von Sinope verwies; auch van Loon deutete den von Eusebios für das Jahr 696 v.Chr. berichteten Selbstmord des Midas im Zusammenhang mit einem "besonders zerstörerischen Überfall von Kimmeriern auf Phrygien" (Van Loon 1966, 20). Für diese aus assyrischer Sicht eher peripheren Ereignisse fehlen jedoch die entsprechenden vorderasiatischen Quellen, und somit bleibt zumindest das von Eusebios angegebene Datum für den Tod des Phrygerkönigs ohne überzeugende Bestätigung.

Erst für die Zeit der Nachfolger des Sanherib, Assarhaddon und Assurbanipal, machen assyrische Quellen wieder Angaben über Gimirrai. Ein in das Jahr 679 v.Chr. datiertes Schriftstück (ABL 1237) erwähnt Gimirrai, die zur Zeit des Assarhaddon in die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Assyrien und den Mannäern verwickelt waren (Kristensen 1988, 90). A. Schott machte in seiner Besprechung der von R.H. Pfeiffer übersetzten Dokumente darauf aufmerksam, daß dieser an Assarhaddon gerichtete Brief die Gimirrai als Verbündete Assyriens bzw. als im assyrischen Sold stehend erscheinen läßt, und daß als deren gemeinsame Gegner wiederum die Mannäer genannt werden (Schott 1937, 364; Pfeiffer 1935, 224.225 Nr. 329). Bemerkenswert ist, daß diese Gimirrai anscheinend den Assyrern vertraglich zugesagten Verpflichtungen nicht nachgekommen waren und deshalb nun ihre Unzuverlässigkeit kritisiert wurde (Schott 1937, 364; Kristensen 1988, 90.91). Die Erwähnung der Mannäer als Gegner läßt darauf schließen, daß sich diese Gimirrai - wie bereits zur Zeit des Sargon - im mannäischen Gebiet aufgehalten haben. Daß aber praktisch zur gleichen Zeit Assarhaddon in seinen Annalen von einem Sieg über den "Kimmerier" Teuspâ berichtet, macht deutlich, daß das Verhältnis zwischen Gimirrai und Assyrien zumindest ab diesem Zeitpunkt nicht klar zu definieren ist. Unklar ist etwa, ob sich das Verhältnis zwischen Gimirrai und Assyrern innerhalb kurzer Zeit geändert hatte, oder ob unterschiedliche Gruppen, die alle als Gimirrai bezeichnet wurden, sich Assyrien gegenüber differierend verhielten. Sollten wirklich verschiedene, in ihrem Verhältnis zu Assyrien somit unterscheidbare Gruppen von Gimirrai 485 existiert haben, stellen sich auch die Fragen, wie diese Gruppen dann zueinander standen und ob überhaupt davon ausgegangen werden darf, daß der Name "Gimirrai" eine ethnisch einheitliche Gruppierung beschreibt.


484 Die Abkürzung K steht für "Tafel der Kujundschik-Sammlung des Britischen Museums".
485 So nennt ein in das Jahr 679 v.Chr. datierter Vertrag als Zeugen einen Mann namens Ubru-Harran, der als Führer einer "gimirräischen Abteilung" bezeichnet wird (Kwasman u. Parpola 1991, 166.167 Nr. 204). Dies scheint zu belegen, daß Gimirrai in Assyrien sogar am täglichen Leben teilnahmen, wobei ein Gimirrai auch als Zeuge eines Vertrages auch aus achämenidischer Zeit bekannt ist (vgl. Damdamayev 1979, 102). A. Ivancik wandte allerdings ein, daß die Bezeichnung einer assyrischen Truppeneinheit als "gimirräisch" nicht unbedingt einen Hinweis auf die ethnische Herkunft der Angehörigen geben muß, sondern eventuell auf die Ausrüstung dieser Einheit nach Vorbild der Gimirrai zurückzuführen ist (Ivancik 1993, 63.82.83).


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